Städteregion Aachen – Frauen für Frauen

Gewalt gegen Frauen – Zerschlagt die Klischees

Männer, die ihre Frauen verprügeln – das gibt es doch nur in der Unterschicht und in Migrantenfamilien: Solche Vorurteile verleiten uns, einen unhaltbaren Zustand hinzunehmen.

38.893 Menschen haben im vergangenen Jahr häusliche Gewalt erlebt – so viele Fälle finden sich in der Statistik des Bundeskriminalamts zur Gewalt in Partnerschaften. Bedrohung, Körperverletzung, Stalking, Vergewaltigung. Mehr als 80 Prozent der Opfer waren weiblich. Die Täter sind oft Ehemänner, Freunde oder Ex-Partner. Welches Leid sie anrichten und wie viel Kraft und Mut es

147 Frauen können nicht mehr darüber sprechen. Sie haben die Angriffe nicht überlebt. Jeden zweiten bis dritten Tag ist 2017 eine Frau von ihrem Partner oder Ex umgebracht worden. In Deutschland.
Dieses Ausmaß der Gewalt ist schockierend – und es will so gar nicht zu dem Bild passen, das unsere Gesellschaft von sich selbst hat. Gleichberechtigt leben demnach Frauen und Männer hier zusammen, eine Errungenschaft des Grundgesetzes, das außerdem jedem Menschen das Recht auf körperliche Unversehrtheit gewährt, unabhängig vom Geschlecht.

Trotzdem werden hier erschreckend viele Frauen verprügelt, vergewaltigt und getötet. Trotzdem gibt es keinen Aufschrei, seit Jahren nicht. Gewalt gegen Frauen wird vielmehr seit langer Zeit zu wenig beachtet, zu wenig bekämpft, teils sogar geduldet.Das hat viel mit fragwürdigen Rollenbildern und mit Mythen zu tun, an denen Menschen gern festhalten, weil das die Sache für sie bequemer macht.

Das Problem häusliche Gewalt lässt sich nicht abschieben

Da ist, erstens, der Mythos, häusliche Gewalt spiele sich nur am sozialen Rand und in Familien aus anderen Kulturkreisen ab. Dieser Gedanke hält sich hartnäckig, egal, wie viele Statistiken belegen, dass das Problem alle sozialen Milieus betrifft. Laut Polizei kommt häusliche Gewalt vermehrt in Familien mit patriarchalem Denken vor, und zwar unabhängig von der nationalen Herkunft. 68 Prozent der Täter waren laut BKA deutsche Staatsbürger. Das Problem lässt sich also nicht abschieben.
Da ist, zweitens, der Mythos, zu häuslicher Gewalt komme es nun einmal, wenn sich die zwei Falschen treffen. Wenn einer immer wieder ausraste, der andere das erdulde, sich nicht trenne. So etwas werde es immer geben, da sei nichts zu machen. Das ist nicht völlig falsch, aber nur ein winziger Teil der Wahrheit.
Häusliche Gewalt ist stark überwiegend Gewalt, die gegen Frauen ausgeübt wird, und zwar innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Strukturen. Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob Politik, Justiz, Medien und Nachbarn solche Übergriffe verurteilen oder mit einem „Da kann man nichts machen“ abtun.

In Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan, um häusliche Gewalt einzudämmen, wenn auch teils sehr spät: Erst seit 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar. 2002 kam das Gewaltschutzgesetz. Damit hat die Polizei mehr Möglichkeiten, Gewalttäter der Wohnung zu verweisen. Am 1. Februar 2018 trat die Istanbul-Konvention (aus dem Jahr 2011) zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Kraft. Gerade hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) politische Maßnahmen angekündigt, mehr Plätze in Frauenhäusern und bei Beratungsstellen etwa. Was daraus wird, ist noch unklar.

Die bisherigen Instrumente reichen jedenfalls nicht aus, um Frauen wirksam zu schützen:
Opfer sind oft finanziell von ihren Partnern abhängig und dadurch unterlegen.
Hat eine misshandelte Frau die Kraft gefunden, Hilfe im Frauenhaus zu suchen, wird sie unter Umständen wieder weggeschickt. In Deutschlands Frauenhäusern fehlen Tausende Plätze. Dieser Missstand ist Folge bewusster politischer Entscheidungen.

Wollen sich misshandelte Frauen vor Gericht wehren, wird ihnen ebenfalls oft die nötige Unterstützung verwehrt. Männer, die ihre Frauen verprügeln, müssen dagegen nicht einmal zwingend um das Sorge- und Umgangsrecht für ihre Kinder fürchten.

Häusliche Gewalt sei Ausdruck eines andauernden Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses, schreibt die Polizei auf einer Website zur Beratung von Opfern häuslicher Gewalt. Dieser Satz gilt nicht nur für Paare. Eine Gesellschaft, die häusliche Gewalt ernsthaft eindämmen will, muss diese Strukturen überwinden – und alte Rollenbilder über den Haufen werfen.

Gewalt gegen Frauen – medial in Endlosschleife inszeniert

Diese Rollenbilder sind kein Zufallsprodukt. Viele Menschen haben sich irgendwie daran gewöhnt. Es entspricht ihren Rollenbildern, die wiederum durch etliche Serien, Filme, Theaterstücke und Raptexte stetig aufgefrischt werden. Männer, die Frauen misshandeln und missbrauchen – das wird in Endlosschleife medial inszeniert. Manchmal geht es um Kritik an der Realität, oft aber auch um Lust an der Demütigung.
Wenn in deutschen Krimis Frauen brutal verprügelt werden, stecke dahinter Chauvinismus, analysierte Anna Prizkau mal in der „FAZ“. „Weil starke Frauen Rollenbilder zerstören, zerstört man in der Fiktion ihre Nasen, damit wenigstens dort alte und klare Verhältnisse herrschen.“
Männer als Täter oder auch Retter, dominant, aggressiv, stark; Frauen als Opfer, defensiv, freundlich, schwach. Diese Stereotype werden jedenfalls – nicht nur von Medien – immer wieder eingeimpft, und sie beeinflussen das, was zwischen zwei Menschen zu Hause passiert.
Die #MeToo-Debatte hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, an diesen Rollenbildern kräftig zu rütteln, Missstände und Machtstrukturen zu kritisieren. Sehr viele Frauen und Männer haben gezeigt: Sie wollen die Verhältnisse ändern, gleichberechtigt zusammenleben, und viele machen längst vor, wie das geht.

Aber die Debatte hat auch offenbart, wie viele Widerstände und Ängste es gibt. Wortstarke Frauen werden immer wieder übelst bedroht und beleidigt, vor allem im Internet.
Aber es gelingt zum Glück nicht mehr, sie zum Verstummen zu bringen. Die neue Debatte über Gleichberechtigung bestärkt Betroffene auch darin, ihre Scham zu überwinden und offen über häusliche Gewalt zu sprechen. Niemand kann sich mehr ahnungslos geben oder das Problem abtun. Der Druck wächst, Opfern zu helfen und neue Übergriffe zu verhindern. Beides ist gut.

 

Quelle: Spiegel-online, ein Kommentar von Silke Fokken

 

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